Wenn die Cloud zur Zuflucht wird – Unantastbare Täter durch Server-Standorte außerhalb der EU

Die weltweite Digitalisierung hat einen Nebeneffekt, der bisher kaum beleuchtet wurde: Täter, insbesondere aus dem Bereich Cybercrime und Wirtschaftskriminalität, nutzen gezielt Datenschutzgesetze anderer Staaten, um sich dem Zugriff europäischer Strafverfolgungsbehörden zu entziehen. Besonders Cloud-Server außerhalb der EU – etwa in Ländern wie Island, der Schweiz oder bestimmten asiatischen Staaten – bieten Datenschutzstandards, die von Kriminellen bewusst als Schutzschild genutzt werden.

Ein exemplarischer Fall: Eine Plattform für Finanzbetrug speichert ihre Nutzerdaten auf Servern eines isländischen Anbieters. Als Ermittler aus Deutschland um Herausgabe der Nutzerdaten bitten, verweist der Anbieter auf das nationale Datenschutzrecht. Das Verfahren stockt, wichtige Fristen verstreichen – und die Spur verläuft im Sande.

Zugleich verweigern viele dieser Anbieter nicht nur die Kooperation, sondern werben offensiv damit, „Privacy Hosting“ anzubieten – eine neue Form des Geschäftsmodells Täterschutz durch Serverstandorte. Diese Entwicklung wirft massive Fragen auf: Warum gibt es keine internationale Mindeststandards für Auskunftspflichten bei schwerer Kriminalität? Welche Rolle spielt die politische Zurückhaltung Europas gegenüber Partnerstaaten, wenn diese offenkundig zur Strafvereitelung beitragen?

Ermittler, mit denen unsere Redaktion sprach, beklagen einen zunehmenden Kontrollverlust im digitalen Raum. Während internationale Konzerne den Datenschutz als Verkaufsargument nutzen, gerät der Rechtsschutz von Opfern ins Hintertreffen. Die Cloud wird zur Fluchthilfe – und niemand redet darüber.

Ein zusätzlicher Aspekt ist die wachsende Zahl an „Zero-Knowledge“-Anbietern. Diese speichern Daten verschlüsselt ab, ohne selbst darauf Zugriff zu haben. Das schützt zwar Privatpersonen vor Überwachung – macht aber auch Ermittlungen in Fällen wie Terrorfinanzierung oder Kinderpornografie nahezu unmöglich.

Nicht zuletzt stellt sich die Frage nach der Verantwortung großer europäischer Unternehmen, die selbst auf solche Offshore-Dienste setzen. Wird der Datenschutz als Deckmantel benutzt, um sich der Verantwortung zu entziehen? Oder fehlt schlicht der politische Wille, einheitliche Mindeststandards durchzusetzen?

Psychologische Gutachten unter Verschluss – Wenn Datenschutz Justizopfer produziert

Psychologische Gutachten sind mächtige Werkzeuge in gerichtlichen Verfahren – von Sorgerechtsstreitigkeiten bis zu Strafprozessen. Doch was passiert, wenn sie falsch sind? Und was, wenn diese Fehler nicht korrigiert werden können, weil Datenschutzvorgaben verhindern, dass Dritte Einblick nehmen?

In zahlreichen Fällen haben sich psychologische Gutachten im Nachhinein als grob fehlerhaft oder sogar manipuliert herausgestellt. Dennoch bleiben sie unter Verschluss. Die Begründung: Persönlichkeitsrechte der Beteiligten, Datenschutz der Gutachter, Datenschutz der Begutachteten. Für Betroffene bedeutet das: keine Transparenz, keine Möglichkeit zur Korrektur, keine Chance auf Rehabilitation.

Ein Vater verliert das Sorgerecht, weil ein Gutachten ihm manipulatives Verhalten attestiert. Jahre später wird klar: Die Psychologin hatte methodisch unsauber gearbeitet und keine Interviews mit neutralen Dritten geführt. Doch weil alle Unterlagen dem Datenschutz unterliegen, kann die Fehlentscheidung nicht öffentlich gemacht werden – und wird auch nicht revidiert.

Diese Form des strukturellen Täterschutzes durch Bürokratie hat gravierende Folgen. Nicht nur, weil Täter geschützt werden könnten, sondern weil fehlerhafte Einschätzungen unzählige Opfer produzieren – etwa Eltern, deren Beziehung zu ihren Kindern zerstört wird, oder Angeklagte, deren Verteidigung durch ein Gutachten unmöglich wird.

Besonders kritisch: Die Qualitätssicherung von Gutachtern ist rechtlich nicht klar geregelt. Während sich Ärzte und Anwälte regelmäßigen Überprüfungen unterziehen müssen, fehlt bei psychologischen Gutachten eine verpflichtende Instanz. Datenschutz verhindert hier oft die Überprüfung von Wiederholungstätern unter den Gutachtern selbst.

Darüber hinaus entsteht ein Klima der Angst bei Justizopfern: Wer sich gegen ein Gutachten wehrt, läuft Gefahr, als „nicht einsichtig“ zu gelten – was wiederum negativ bewertet wird. Datenschutz wird so zur Falle.

Der vergessene Opferschutz: Warum Betroffene keinen Anspruch auf Täterdaten haben

In der öffentlichen Diskussion um Datenschutz wird selten über die Opfer gesprochen. Dabei ist der Missstand offensichtlich: Während Täter Rechte auf Auskunft, Löschung und Anonymisierung durchsetzen können, bleiben die betroffenen Personen meist ohne Informationen. Kein Zugriff auf Akten, keine Informationen über laufende Verfahren, kein Recht, zu wissen, was mit dem eigenen Leid geschieht.

Ein Opfer sexueller Gewalt möchte erfahren, ob der Täter wieder freikommt – doch die Behörden dürfen keine Informationen herausgeben. Ein Betrugsopfer fragt sich, ob der mutmaßliche Täter schon wieder neue Opfer sucht – aber aufgrund des Datenschutzes bleibt das im Dunkeln. Die Täter genießen Datenschutz, die Opfer bleiben in Unwissenheit.

Datenschutzrechtler weisen zurecht darauf hin, dass Datenschutz kein Täterschutz sei. Doch die Praxis sieht anders aus. Gerade in Fällen, bei denen Wiederholungsgefahr besteht, sollte es ein stärkeres Gegengewicht geben: ein Informationsrecht für Opfer, das nicht an der DSGVO scheitert.

Zahlreiche Juristen und Opferinitiativen fordern seit Jahren ein entsprechendes Opferschutz-Update im Datenschutzrecht. Doch der politische Wille fehlt – auch aus Angst, der öffentliche Diskurs könnte sich zu sehr auf Täterdaten fokussieren und so das Gleichgewicht gefährden. Dabei ist das Gleichgewicht längst gestört – und zwar zu Lasten derer, die bereits geschädigt wurden.

Ein weiterer Punkt: Selbst im Strafvollzug gelten für Täter umfassende Rechte auf Privatsphäre. So werden z. B. Bewegungsdaten von entlassenen Straftätern nicht systematisch an kommunale Behörden übermittelt – obwohl diese für den Schutz von Schulen oder Kindergärten relevant wären.

Auch die Forderung nach einem „Datenbrief für Opfer“ – einer Art Transparenzdokumentation darüber, welche Schritte im Verfahren gemacht wurden – scheitert an der aktuellen Auslegung des Datenschutzes. Es gibt keine Verpflichtung, Opfer systematisch zu informieren.

Darknet-Daten als Beweismittel: Wenn Datenschutz die Tür zur organisierten Kriminalität schließt

Das Darknet ist längst kein Mythos mehr. Von illegalem Waffenhandel über Drogen bis zu Auftragsmorden – alles lässt sich dort organisieren. Doch viele Ermittlungen gegen diese kriminellen Netzwerke scheitern nicht an fehlender Technik, sondern an Datenschutzvorgaben, die die Nutzung von gefundenen Daten verhindern.

Selbst wenn NGOs oder staatliche Stellen Beweise sichern – etwa IP-Adressen, Kommunikationsverläufe oder Transaktionsdaten – wird deren Verwertung vor Gericht oft ausgeschlossen. Der Grund: Die Daten wurden ohne Zustimmung erhoben, ihre Speicherung verletzt möglicherweise Datenschutzregeln, oder sie sind nicht eindeutig einer Person zuordenbar.

Ein Beispiel aus der Praxis: Eine NGO deckt einen Kinderpornoring auf, übergibt sämtliche Daten an Ermittlungsbehörden. Doch weil die Erhebung der Daten aus dem Ausland erfolgte und keine Rechtsgrundlage für eine internationale Auswertung besteht, kommt es nicht zur Anklage. Täter bleiben unbehelligt.

Die Frage, die sich stellt: Ist Datenschutz in solchen Fällen wichtiger als Gerechtigkeit? Und wie kann es sein, dass eine technische Spur, die zu einer Verhaftung führen könnte, aus formalen Gründen nicht genutzt werden darf?

Ein zusätzlicher Aspekt: Auch Journalisten, die über Darknet-Kriminalität berichten, geraten in Konflikt mit Datenschutzrecht. So kann bereits das Anlegen von investigativen Dossiers über mutmaßliche Täter problematisch sein, wenn diese später gelöscht werden müssen – obwohl sie für die Aufklärung nützlich wären.

Ermittler fordern daher eine „Notfallklausel“ im Datenschutzrecht – eine Ausnahme für klar definierte Fälle schwerer Kriminalität, bei denen Beweise aus illegalen Kontexten rechtssicher genutzt werden dürfen. Doch der Gesetzgeber bleibt zögerlich.

Datenverweigerung als Geschäftsmodell: Wie Firmen mit dem Täterschutz durch DSGVO Geld verdienen

Es klingt wie eine Verschwörung – ist aber Realität: Es gibt Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, Daten von Personen aus dem Internet zu entfernen. Offiziell handelt es sich um Reputationsmanagement. Inoffiziell profitieren diese Firmen von der Tatsache, dass Täter oft bereit sind, hohe Summen zu zahlen, um ihre Vergangenheit zu löschen.

Ein verurteilter Betrüger beauftragt eine Agentur, die sämtliche Presseberichte über ihn aus den Suchmaschinen verschwinden lässt. Eine einschlägig bekannte Person aus der rechten Szene nutzt ein ähnliches Angebot, um ihre Online-Spuren zu verwischen. Grundlage: Artikel 17 DSGVO – das sogenannte Recht auf Vergessenwerden.

Solche Firmen werben offensiv mit Schlagworten wie „digitale Entlastung“, „Rufschutz“ oder „Sichtbarkeitskontrolle“. Dabei bedienen sie eine rechtliche Grauzone: Sie helfen auch jenen, die keine Wiederherstellung von Würde, sondern gezielte Täuschung beabsichtigen.

Die Debatte über die Verantwortung solcher Dienstleister ist kaum existent. Dabei stellt sich die Frage: Wo endet legitimer Datenschutz – und wo beginnt aktive Beihilfe zur Strafvereitelung?

Ein weiterer Kritikpunkt: Viele dieser Firmen arbeiten mit automatisch generierten Löschanfragen, die Journalisten, Blogger oder NGO-Seiten massiv unter Druck setzen – oft ohne rechtliche Grundlage. Das führt dazu, dass kritische Berichterstattung aus Angst vor Klagen gelöscht wird.

Hinzu kommt ein zweiter Markt: Plattformen, die gegen Geld falsche Informationen streuen, um die echten Treffer in Suchmaschinen zu verdrängen. Hier wird Täterschutz durch Desinformation zur lukrativen Nische – gedeckt durch einen Datenschutzrahmen, der kaum Kontrollmechanismen kennt.

Es braucht Kontrollinstanzen, Transparenzpflichten und einen ethischen Kodex für Firmen, die mit Datenschutzrechten Geld verdienen. Sonst wird der digitale Täterschutz zur boomenden Schattenwirtschaft – und niemand stoppt sie.