Heute ist es wieder soweit: wir Österreicher:INNEN feiern unseren Nationalfeiertag. Ein Tag, an dem die Bevölkerung zusammenkommt, um sich an die Errungenschaften der Demokratie und die immerwährende Neutralität zu erinnern – oder besser gesagt, daran, was von Demokratie übrig geblieben ist.
Und während man heute Standorte des Heeresgeschichtlichen Museums und des Wien Museums, das Parlament, die Ministerien und die Hofburg bei freiem Eintritt besuchen kann, stellt sich in Bezug auf den Begriff „Neutralität“ schon irgendwie die Frage: Wie neutral ist unser Bundespräsident eigentlich, wenn es um den Willen des Volkes geht?
Die Wahlen am 29. September – eine Lektion in Demokratie, könnte man meinen. Doch während wir Bürgerinnen und Bürger brav ihre Kreuze machten, scheint die Entscheidung, wer dieses Land tatsächlich regieren darf, eine ganz andere Dimension angenommen zu haben. Denn offensichtlich hat unser Staatsoberhaupt beschlossen, dass die stärkste Partei, die vom Wähler klar als Sieger hervorgegangen ist, nicht unbedingt mit der Regierungsbildung beauftragt werden muss. Demokratie? Ach, das ist so altmodisch.
Patt-Situation, Sie verstehen?
Unser Bundespräsident stand wohl vor einer „Patt-Situation“. Eine Entscheidung musste her, aber das demokratische Mandat schien nicht die Antwort zu sein. Denn wozu Zeit verlieren? Klar, die größte Partei hat gewonnen, aber man kann ja nicht einfach erwarten, dass man auch regieren darf, nur weil die Mehrheit der Wähler das so sieht. Nein, das wäre viel zu einfach – und viel zu gefährlich. Wer weiß, was passiert, wenn man die stärkste Partei einfach so ans Ruder lässt? Da könnte das Volk ja denken, es hätte tatsächlich etwas zu sagen.
Keine Partei soll das Volk auf sich vereinnahmen
Und ein kürzlich gehörter Satz aus der Hofburg: „Keine Partei kann das Volk auf sich vereinnahmen.“ Übersetzt heißt das wohl: „Es ist besser, niemandem zu vertrauen, der tatsächlich Wählerstimmen gesammelt hat.“ Wieso eine Partei mit der Regierungsbildung beauftragen, die am meisten Zuspruch erfahren hat, wenn man doch eine schönere „Mitte“ findet, irgendwo im politischen Bermuda-Dreieck, wo Entscheidungen aus dem Nichts auftauchen und wieder verschwinden? Schließlich sind wir eine Demokratie – aber bitte nur dann, wenn es allen bequem passt.
Zeit verlieren? Bloß nicht!
Es ist auch verständlich, dass wir keine Zeit verlieren wollen. Regieren ist schließlich anstrengend. Und Wahlen, die kosten Nerven! Aber Österreich ist grundsätzlich ein geduldiges Land. Hauptsache, der Präsident hat in Ruhe darüber nachgedacht, wer nicht regieren sollte.
Während also heute am Nationalfeiertag die großen Reden über unsere stolze Demokratie geschwungen werden, erinnert man sich besser daran, dass echte Demokratie manchmal unbequem sein kann. Sie könnte erfordern, dass man den Wählerwillen tatsächlich respektiert – und nicht nur das politische Theaterstück aufführt, das gut in die gemütliche Stube passt.
Am Ende des Tages bleibt uns also nur eines: eine schöne Parade, ein paar schwülstige Reden, und der leise Verdacht, dass Demokratie in Österreich manchmal ein Spiel ist, bei dem die Regeln von denen gemacht werden, die sie am wenigsten befolgen wollen.
Hoch lebe die Neutralität! Und die Demokratie… naja, vielleicht beim nächsten Mal.
Schönen Nationalfeiertag!