Die österreichische Politik steht erneut vor einer sozialen Weichenstellung, die gravierende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben wird. Die geplante Abschaffung des steuerfreien Zuverdienstes für Arbeitslose ist ein klassisches Beispiel dafür, wie politische Entscheidungen oft ohne ausreichenden Weitblick getroffen werden. Während Befürworter die Notwendigkeit betonen, Arbeitslose schneller in vollversicherungspflichtige Jobs zu bringen, warnen Kritiker vor den negativen Folgen für sozial Schwächere. Die Debatte zeigt vor allem eines: Es fehlt an differenzierten Lösungen, die beide Seiten berücksichtigen. Statt klarer Konzepte dominiert das Prinzip „alles oder nichts“.


Die Abschaffung des steuerfreien Zuverdienstes: Eine Maßnahme mit Risiken

Die derzeitige Regelung erlaubt es arbeitslosen Menschen, bis zur Geringfügigkeitsgrenze von monatlich 518,44 Euro (Stand 2024) steuerfrei dazuzuverdienen, ohne dass dies ihre Arbeitslosenunterstützung schmälert. Diese Regelung bietet vielen Arbeitslosen eine finanzielle Verschnaufpause und die Chance, am Arbeitsmarkt aktiv zu bleiben.

Die geplante Reform soll dies nun kippen. Die Begründung? Laut Regierung verlängere der steuerfreie Zuverdienst die Arbeitslosigkeit, weil sich viele Betroffene mit geringfügigen Jobs zufriedengeben, anstatt eine Vollzeitstelle zu suchen. Kritiker hingegen argumentieren, dass diese Sichtweise zu kurz greift. Nicht jeder Arbeitslose lehnt eine Vollzeitstelle ab. Viele finden schlicht keine passende Anstellung oder sind aufgrund ihrer Lebenssituation nicht in der Lage, sofort voll zu arbeiten.


Welche Folgen sind zu erwarten?

Sollte die Abschaffung des steuerfreien Zuverdienstes tatsächlich umgesetzt werden, würde dies gravierende Konsequenzen nach sich ziehen.

  • Soziale Verelendung: Viele Arbeitslose nutzen den Zuverdienst, um ihre finanzielle Lage zu stabilisieren. Fällt diese Möglichkeit weg, droht eine noch stärkere Armutsgefährdung.

  • Lücke im Sozialsystem: Personen, die zwar arbeiten wollen, aber keine vollversicherungspflichtige Stelle finden, werden durch diese Regelung bestraft.

  • Schwächung des Arbeitsmarktes: Unternehmen, die geringfügig Beschäftigte als flexible Arbeitskräfte einsetzen, könnten in Schwierigkeiten geraten.

  • Fehlender Anreiz für einen Wiedereinstieg: Geringfügige Jobs können ein Sprungbrett in eine reguläre Anstellung sein. Fehlt dieser Zwischenschritt, steigt das Risiko, dass Arbeitslose noch länger aus dem Arbeitsmarkt herausfallen.

  • Mehr Schwarzarbeit: Ohne die legale Möglichkeit, sich durch einen steuerfreien Nebenverdienst über Wasser zu halten, könnte sich die Schwarzarbeit ausweiten.


Lösungsvorschläge: Warum ein Kompromiss der bessere Weg wäre

Statt einer abrupten Abschaffung des steuerfreien Zuverdienstes wäre ein ausgewogener Mittelweg sinnvoll. Die Politik hat zahlreiche Möglichkeiten, das System klug anzupassen, anstatt eine unflexible Alles-oder-nichts-Lösung durchzusetzen.


1. Staffelung des Zuverdienstes nach Dauer der Arbeitslosigkeit

Eine gerechtere Variante wäre, den steuerfreien Zuverdienst an die Dauer der Arbeitslosigkeit zu koppeln. Beispielsweise könnte für die ersten drei Monate ein Freibetrag von 100 % der bisherigen Geringfügigkeitsgrenze bestehen bleiben, danach könnte dieser Betrag schrittweise reduziert werden. So würde die Existenzsicherung in der ersten Phase der Arbeitslosigkeit gewährleistet, ohne dass langfristige Anreize zur Teilzeitarbeit entstehen.


2. Zielgerichtete Anreize für den Umstieg in Vollzeitstellen

Wer aus einer geringfügigen Beschäftigung in eine vollversicherungspflichtige Anstellung wechselt, könnte durch einen finanziellen Bonus oder durch befristete steuerliche Vorteile belohnt werden. Denkbar wäre etwa eine Einmalzahlung oder eine Steuererleichterung für die ersten sechs Monate einer neuen Anstellung.


3. Arbeitsmarktnahe Zuverdienstmodelle einführen

Nicht jede geringfügige Arbeit führt zu einer besseren Jobperspektive. Die Politik könnte steuerfreie Zuverdienste gezielt auf Branchen und Berufe beschränken, die als Sprungbrett in den regulären Arbeitsmarkt dienen. Dies würde verhindern, dass der Zuverdienst lediglich ein Mittel zur Vermeidung von Vollzeitstellen wird.


4. Berücksichtigung sozialer Härtefälle

Nicht jeder Arbeitslose hat die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Für Alleinerziehende, gesundheitlich eingeschränkte Personen oder ältere Arbeitslose könnte es Sonderregelungen geben, die ihnen weiterhin einen steuerfreien Zuverdienst ermöglichen.


5. Qualifizierungs- und Beratungsverpflichtung

Um sicherzustellen, dass geringfügige Beschäftigungen nicht zum Dauerzustand werden, könnte eine Verknüpfung mit verpflichtenden Weiterbildungs- und Coaching-Maßnahmen erfolgen. Wer steuerfrei dazuverdienen will, muss aktiv an Programmen zur Jobvermittlung teilnehmen.


Der fehlende politische Weitblick

Die derzeitigen Pläne der Regierung zeigen einmal mehr, dass in der politischen Entscheidungsfindung oft Schwarz-Weiß-Denken dominiert. Die Abschaffung des steuerfreien Zuverdienstes wird als scheinbar einfache Lösung präsentiert, doch die langfristigen Folgen werden kaum bedacht. Eine wirklich nachhaltige Arbeitsmarktpolitik muss die Vielfalt der Betroffenen berücksichtigen und mehr Flexibilität zulassen. Es wäre an der Zeit, dass sich die Regierung nicht nur auf kurzfristige Effekte konzentriert, sondern nachhaltige Modelle entwickelt, die sowohl Arbeitslose als auch den Wirtschaftsstandort Österreich unterstützen.

Was fehlt, ist ein intelligentes Gesamtkonzept, das individuelle Bedürfnisse berücksichtigt, Anreize zur Vollzeitbeschäftigung setzt und zugleich soziale Absicherung gewährleistet. Doch statt praxistaugliche Lösungen zu erarbeiten, wird wieder einmal mit der großen Keule geschwungen – und das ohne Rücksicht auf die Menschen, die es am meisten betrifft.