Die Schattenwirtschaft der Kulturarbeit: Wie unbezahlte Netzwerkarbeit und Pro-Bono-Leistungen den Kunstmarkt verzerren
In der Kulturszene sind unbezahlte Arbeitsleistungen längst zur stillschweigenden Norm geworden. Viele junge Künstler:innen und Kreative sehen sich gezwungen, ohne Entlohnung zu arbeiten – sei es bei Ausstellungsvorbereitungen, Performance-Events, Lesungen oder kulturellen Netzwerktreffen. Die Argumentation ist häufig dieselbe: Sichtbarkeit sei die Währung, der Eintritt in den Markt die eigentliche Bezahlung. Doch diese Form der „unsichtbaren Arbeit“ hat tiefgreifende strukturelle Folgen. Sie zementiert nicht nur soziale Ungleichheiten, sondern verschärft auch die Prekarität von Kunstschaffenden nachhaltig. Wer es sich nicht leisten kann, unbezahlt präsent zu sein, wird systematisch ausgeschlossen.
Inzwischen lässt sich von einer Schattenwirtschaft sprechen, in der insbesondere Nachwuchstalente und Künstler:innen ohne familiären Rückhalt Gefahr laufen, ausgebeutet zu werden. Museen, Festivals und Kulturinitiativen profitieren regelmäßig von kostenlosen Leistungen, ohne langfristige Perspektiven zu bieten. Die Folge: Eine implizite Zweiklassengesellschaft innerhalb der Kulturszene. Jene mit finanzieller Absicherung können Netzwerke und Karriere aufbauen, während andere dauerhaft marginalisiert bleiben. Der Staat sieht tatenlos zu – und fördert mit seiner Förderlogik zum Teil genau diese Ausbeutungsmechanismen.
Ein weiteres Problem stellt die Intransparenz der Bezahlung bei Kollektiven oder interdisziplinären Projekten dar. Oft wird auf Augenhöhe kommuniziert, doch die Entlohnung bleibt unausgesprochen – oder fällt ungleich aus. Auch hier besteht eine strukturelle Schieflage, die durch fehlende Regularien begünstigt wird. Die informellen Absprachen innerhalb der Szene fördern eine Kultur des Schweigens, in der Honorare oft tabuisiert sind.
Versicherungsfreie Zonen: Die prekäre Lage freischaffender Künstler:innen bei Krankheit und Mutterschaft
Freischaffende Künstler:innen leben nicht nur unter erhöhtem finanziellen Druck, sondern sind im Krankheitsfall oder während einer Schwangerschaft häufig komplett auf sich allein gestellt. Während Angestellte in regulären Beschäftigungsverhältnissen automatisch in ein soziales Netz eingebettet sind, besteht für Kulturschaffende oft keinerlei Versicherungsschutz – insbesondere dann, wenn sie projektbezogen oder temporär arbeiten. Viele entscheiden sich aus Kostengründen bewusst gegen die freiwillige Kranken- oder Pensionsversicherung, weil die monatlichen Beiträge schlichtweg nicht tragbar sind.
Diese Lücken im System treffen vor allem Frauen besonders hart. Mutterschutz, Karenz oder ein Wiedereinstieg nach der Geburt eines Kindes sind für Künstlerinnen oftmals eine existentielle Bedrohung. Der Verlust von Erwerbsmöglichkeiten bedeutet auch den Verlust von Sichtbarkeit, von Anschlussaufträgen und somit von Einkommen. Die Sozialversicherungen sehen in vielen Fällen keine passende Kategorie für die Lebensrealitäten von Kulturschaffenden vor. Eine Reform ist dringend notwendig – sonst bleibt der Kunstbetrieb ein privilegiertes Spielfeld für die ökonomisch abgesicherten.
Hinzu kommt, dass selbst bei temporärer Versicherungsleistung viele Leistungen unzureichend sind: Psychotherapeutische Hilfe, Reha-Maßnahmen oder Unterstützungsangebote bei Burnout und Überlastung werden kaum abgedeckt. Künstler:innen, die unter konstantem Erfolgsdruck stehen, laufen in eine gesundheitliche Erschöpfung, ohne auf ein strukturelles Netz zurückgreifen zu können. Die langfristigen Folgen dieser psychischen Belastung werden gesellschaftlich massiv unterschätzt.
Kunst im Ausland – Schutz ade? Die sozialen Risiken internationaler Auftrittstätigkeit
Internationale Engagements gelten in der Kunstwelt als Meilenstein, als Ritterschlag für künstlerisches Ansehen. Doch wer seine Arbeit über Grenzen hinweg anbietet, begibt sich sozialrechtlich oft in eine Grauzone. Viele Länder erkennen temporäre künstlerische Tätigkeiten nicht als versicherungsrelevant an, die Bezahlung erfolgt ohne Vertrag oder über intransparente Agenturmodelle, und für die Steuerpflicht ist oft niemand zuständig – außer dem Künstler selbst.
Der bürokratische Aufwand, um internationale Einnahmen korrekt zu deklarieren, übersteigt häufig die Möglichkeiten der Kunstschaffenden. Gleichzeitig geht wertvolle Versicherungszeit verloren, etwa für die Pensionsberechnung oder bei Krankheit. Kommt es zu einem Unfall oder gesundheitlichen Notfall während eines Auslandsengagements, kann die Versorgungslage katastrophal sein. Besonders problematisch ist die Situation für jene, die in mehreren Ländern gleichzeitig tätig sind. Ohne harmonisierte Sozialversicherungsabkommen entsteht ein Flickenteppich rechtlicher Unsicherheiten. Der internationale Kulturbetrieb braucht dringend einheitliche Regelungen – andernfalls wird die grenzüberschreitende Arbeit zu einem existenziellen Risiko.
Erschwerend kommt hinzu, dass Auslandsstipendien oder Residenzprogramme zwar oft finanziell reizvoll erscheinen, aber keine Absicherung bieten. Sie gelten häufig nicht als Erwerbsarbeit, wodurch Künstler:innen weder Rentenansprüche aufbauen noch auf Krankenversicherung zählen können. Auch hier braucht es dringend internationale Mindeststandards für künstlerische Mobilität.
Die stille Altersarmut unter Kulturschaffenden: Wenn das Lebenswerk zur Belastung wird
Künstlerisches Schaffen ist in unserer Gesellschaft hoch angesehen, wird aber gleichzeitig kaum materiell anerkannt. Viele Kulturschaffende leben jahrzehntelang unter prekären Bedingungen, verzichten auf Rücklagenbildung oder auf eine adäquate Altersvorsorge – nicht aus Leichtsinn, sondern aus ökonomischem Zwang. Die Folge ist eine schleichende Altersarmut, die oft unsichtbar bleibt. Denn während Künstler:innen im aktiven Leben meist in der Öffentlichkeit stehen, geraten sie nach ihrer aktiven Zeit rasch in Vergessenheit.
Die Renten von freischaffenden Künstler:innen liegen oft weit unter dem Existenzminimum. Besonders hart trifft es jene, die immer wieder unterbrochene Erwerbsbiografien haben, etwa durch Kinderbetreuung, Krankheit oder die Kombination mit anderen prekären Jobs. Altersarmut wird dann nicht zur Ausnahme, sondern zur bitteren Regel. Der Staat versäumt es, künstlerische Lebensläufe sozialpolitisch abzubilden. Es braucht neue Modelle – etwa kulturbezogene Rentenfonds, automatische Mindestabsicherungen oder einkommensunabhängige Grundsicherungen im Alter – um dieser Entwicklung entgegenzuwirken.
Zudem fehlt es an Bewusstseinsbildung: Viele Kulturschaffende erkennen erst spät, wie wenig sie im Alter erhalten werden. Eine verpflichtende Altersvorsorgeberatung und niederschwellige Vorsorgemodelle speziell für die Kulturbranche könnten Abhilfe schaffen. Auch zivilgesellschaftliche Modelle wie solidarische Rentenfonds innerhalb von Berufsverbänden sind bislang kaum entwickelt.
Förderung statt Fairness? Warum viele staatliche Kulturförderungen keine soziale Sicherheit schaffen
Kulturförderungen sind politisch gern zitierte Werkzeuge zur Unterstützung der Kreativwirtschaft. Doch ein kritischer Blick zeigt: Die meisten Förderprogramme sind projektbezogen, kurzlaufend und auf Sichtbarkeit ausgerichtet – nicht auf nachhaltige soziale Absicherung. Fördergelder fließen oftmals in Infrastruktur, Material oder Reisekosten, nicht aber in Löhne oder Versicherungsbeiträge. Die Antragstellung ist aufwendig, die Erfolgsquote gering – und die Bedingungen ignorieren regelmäßig die Lebensrealität der Antragsteller:innen.
Insbesondere jene, die bereits prekär leben, haben weder die zeitlichen noch administrativen Ressourcen, um sich erfolgreich durch Förderdschungel zu kämpfen. Dadurch profitieren oft dieselben Akteure – während jene, die Unterstützung am dringendsten benötigen, außen vor bleiben. Die Schere zwischen geförderter Kultur und unterfinanzierten Existenzen öffnet sich weiter. Eine faire Kulturpolitik müsste soziale Kriterien in den Mittelpunkt stellen, etwa verpflichtende Bezahlung von Projektmitarbeiter:innen, automatische Versicherungslösungen oder Bonuspunkte für nachhaltige Beschäftigungskonzepte. Ohne diesen Perspektivenwechsel bleibt die Förderung ein kurzfristiger Applaus – und keine langfristige Lösung.
Ein besonders kritischer Punkt ist die mangelnde Nachbetreuung: Was passiert nach Projektende? Wie werden Anschlussfinanzierungen ermöglicht? Künstler:innen, die sich zwischen kurzfristigen Förderzyklen aufreiben, verlieren oft ihre Stabilität. Kulturpolitik darf nicht nur „Förderung“ denken, sondern muss auch „Verlässlichkeit“ garantieren.